Blog-Eintrag

Geschundenes Stativgewinde

Für die Befestigung auf einem Stativ sind Kameras an der Unterseite mit einem Stativ-gewinde ausgestattet. Dieses "Kameragewinde" ist ein 1/4 Zoll Grobgewinde (1/4"-20 UNC). Grobgewinde deshalb, weil die Gewindegänge gröber sind. Das macht sie mechanisch stabiler als ein metrisches Normalgewinde M6 und bringt einen weiteren Vorteil: mit nur 2-3 Umdrehungen sitzt die Kamera fest. Fast alle "normalen" Kameras sind mit so einem Kameragewinde ausgestattet. Leider ist die Tiefe dieses 1/4"-Gewindes nicht genormt: wir haben Werte von 4,0 bis 8,5mm gemessen. Nur schwere Mittel- und Großformatkameras haben (gegebenenfalls zusätzlich) ein "großes Kameragewinde" in 3/8 Zoll.

Idealerweise sitzt das Kameragewinde genau unter der optischen Achse und vor der Film- bzw Sensorebene der Kamera. Zu den klassischen Abweichlern was diese Positionierung angeht, zählen Leica und Olympus.
Leica baut viele Kameras  mit sehr niedrig liegender optischen Achse (z.B. die M9) und findet anscheinend unter dieser Linie keinen Platz mehr für ein Stativgewinde. So sitzt das Stativgewinde vieler Leicas irgendwo seitlich am Kameraboden - nur nicht da, wo es hingehört.
Olympus platziert das Kameragewinde bei vielen DSLRs zwar mittig unter der optischen Achse - aber geradezu idiotisch soweit hinten am Kameraboden (bei einigen Modellen hinter dem Sensor), dass jede Kamera sehr kopflastig auf dem Stativ sitzt. Auch Nikon signalisiert mit der Gewindeposition der D700 und D800: Diese Kamera ist nicht für's Stativ gebaut.
Sony scheint beim Design der NEX das Stativgewinde zunächst gar vergessen zu haben: die Miniaturisierung wurde soweit getrieben, dass die optische Achse um weniger als den halben Objektivdurchmesser über dem Kameraboden liegt. Die Kamera ließe sich gar nicht am Kameraboden auf einem Stativ befestigen, hätten die Konstrukteure dort nicht noch einen Höcker für das Stativgewinde angebracht. Über dessen Zweckmäßigkeit kann man streiten...

In der Panoramafotografie ist die Position des Stativgewindes nicht unwesentlich:

  • Die meisten VR-/Panoramasysteme sind nur mit Kameras nutzbar, bei denen das Stativgewinde genau unter der optischen Achse liegt. 
    (Anmerkung: bei allen unseren Panoramasystemen ist das nicht relevant) 

  • Da die Kamera in Hochformatposition am Stativgewinde hängt, ist es von Vorteil, wenn das Kameragewinde möglichst im Bereich des Schwerpunkts liegt  - also deutlich vor der Sensorebene und nicht an der hinteren Kante des Kamerabodens.
  • Die mechanische Stabilität des Gewindes bzw. dessen Verankerung im Kameraboden ist für den Einsatz im Hochformat von besonderer Wichtigkeit.

Tatsächlich sind es nur knapp 3 Gewindegänge (!), die die Kamera halten: das sind nur ein paar wenige Kubikmillimeter Messing. Das wird häufig unterschätzt, auch von den Stabilitätsfanatikern, die ihren Kilo-schweren Kugelkopf auf das Stativ schrauben und dann die Kamera mit einem stabilen L-Bracket in Hochformatposition darauf befestigen. Das meist ArcaSwiss-kompatible Klemmsystem eines solchen L-Brackets und der mächtige Stativkopf suggerieren eine Stabilität des gesamten Setups, die aber tatsächlich nicht gegeben ist, denn: Letztlich hängt die Kamera an den knapp 3 Gewindegängen mit wenigen Kubikmillimetern Material !

Verschärft wird diese Problematik noch weiter durch eine hoch liegende optische Achse und damit dem hoch liegenden Schwerpunkt des Systems: Je größer der Abstand der optischen Achse über dem Kameraboden, desto größer ist die Hebelwirkung im Hochformat und desto größer das Drehmoment, das am Kameragewinde wirkt. Unter der Kamera angebrachte Batteriegriffe vergrößern dieses Drehmoment signifikant. Entsprechendes gilt bei der Verwendung langer, schwerer Objektive, die ebenfalls den Schwerpunkt des Gesamtsystems vom Stativgewinde weg verlagern: Das resultierende Drehmoment belastet das Stativgewinde in Hochformatstellung der Kamera extrem - bis zum Herausreißen aus dem Kameraboden.

Was ist nun die Konsequenz speziell aus der Sicht der Panoramafotografie ?

Die Forderung nach einem sinnvoll platzierten Stativgewinde - möglichst in 3/8" und zusätzlich an der linken Kameraseite - dürfte sich erübrigen. Kamera-Konstrukteure und -Designer werden wohl auch in Zukunft Kameragewinde unsinnig platzieren.
Konsequenterweise sollte man daher für Panoramafotografie seine Kamera mit Bedacht, also auch unter Berücksichtigung des Gewichts und der Geometrie auswählen - oder zumindest auf solche Kaliber wie eine Nikon D3 oder eine Canon 1DMk4 mit fest angebautem Batteriefach sowie auf schwere Zoom-Objektive wie das Nikkor f2,8/14-24mm, das Canon f2,8/16-35mm oder das Tamron SP f2,8/15-30mm verzichten und besser zur kompakteren Zweitkamera greifen.
Aber auch die Verwendung des schweren Sigma Art f1,4/20mm am Panoramasystem ist eine Herausforderung für jedes Kameragewinde. Kameras mit einem weit hinten positionierten Stativgewinde (z.B. Nikon D800, Canon 5DMk3) unterstützen wir daher bewusst nicht mit unseren NPAs für diese Linse.

In mehreren Blog-Einträgen haben wir bereits auf die Problematik hingewiesen:
http://pt4pano.com/de/blog/aber-bitte-ohne-batteriegriff
http://pt4pano.com/de/blog/welches-objektiv-f-rs-pano 

Nach wie vor werden wir von Kunden um kameraspezifische Sonderlösungen für den KISS für die Verwendung mit Batteriefach oder Schnellwechselsystemen angefragt. Wir werden auch weiterhin aus genannten Gründen diesen Kundenwünschen nicht nachkommen.  


Nachtrag: überstehendes Stativgewinde
Wir bekommen fast alle panoramatauglichen Kameras auf den Tisch.
Über die Stativgewinde der Kameras könnte ich inzwischen ein ganzes Buch schreiben.
Das ist nicht meine Absicht.
überstehendes Stativgewinde der XZ-1Einen Aspekt möchte ich hier doch kurz noch aufgreifen:
Bei immer mehr Kameras ist das Stativgewinde schlampig eingebaut und steht unten über den Kameraboden über.
Ich habe das bereits bei mehreren DSLR's in der Einsteiger-Klasse beobachtet - und jetzt wird dieses Manko bei Kompakt-kameras schon fast zur Norm. Bei allen Lumix MFT's steht das Gewinde ca. 0,3mm über. Den Vogel schießt auch diesmal wieder Olympus ab: Bei der neuen XZ-1 Kompaktkamera (die durchaus panoramatauglich ist !) ist das Stativgewinde mit 7,5mm zwar angenehm tief, aber es steht unten einen ganzen Millimeter über. Die Kamera liegt - auf eine plane Platte montiert - nur am überstehenden Bund des Stativgewindes auf.
Was haben sich die Entwickler dabei wohl gedacht ?

2. Nachtrag (Mai 2012)
Inzwischen sind die neuen Vollformatkameras von Canon und Nikon auf dem Markt.
Beide, die EOS 5DMk3 und die D800 werden sicher auch für die Panoramafotografie verwendet werden.
Aber: Die Stativgewinde beider Kameras wurden wieder sehr ungünstig platziert. Insebsondere an der D800 sitzt das Stativgewinde so weit "hinten" (noch weiter als bei der D700), dass die Kamera sehr kopflastig wird.
Beide Kameras werden normalerweise mit einem guten Weitwinkelzoom eingesetzt.
Die 5DMk3 mit dem schweren f2,8/1635 USM2 und die D800 mit dem noch schwereren f2,8/1424. Im Hochformat am Stativgewinde befestigt sind beide so bestückte Kameras praktisch nicht zu gebrauchen.
Schade. 

3. Nachtrag
Es tut sich was bezüglich Positionierung des Kameragewindes - aber sicher nicht wegen der Panoramafotografie.
Positiv: Leica hat bei der neuen "M" jetzt endlich das Kameragewinde sinnvoll unter der optischen Achse positioniert.
OMD-M5 Mk2 mit gut positioniertem StativgewindeAuch Olympus hat sich jetzt eingeschossen: Zuerst links, dann rechts und jetzt unter der optischen Achse: Bei der M10 sitzt das Gewinde einer Olympus-MFT erstmals wo es hingehört. Ebenso wird die M5 Mk2 ein wirklich brauchbares Stativgewinde haben. Auch bei der PL-Serie hat Olympus jetzt nachgezogen: Bei der E-PL7 sitzt jetzt auch das Kameragewinde unter der optischen Achse. Kaum zu glauben ....

Negativ: Nikon DSLRs hatten lange Zeit eine relativ hoch liegende optische Achse. Inzwischen zwingt der Trend zum kompakteren Kameragehäuse die Konstrukteure, das Kameragewinde zu verlagern. Durch die Absenkung der optischen Achse kommt der unter dem Spiegel liegende Autofokus-Modul mit dem Kameragewinde ins Gehege. Bei allen neueren Modellen (D7100, D600/D610) wurde daher das Gewinde weit nach hinten verlagert, hinter den Sensor.
Einziges Positivbeispiel von Nikon: Die D5300. Ein Traum für jeden Panoramafotografen.
Auch Canon spielt mit der Gewindeposition, aber weitaus moderater als Nikon.

Idioten !4. Nachtrag (Jan 2015)
Die Nikon D750 gefällt als Vollformat-Panoramakamera sehr gut. Auch das Stativgewinde ist SUPER platziert, da wo es hingehört  (gilt genauso für die D850  (Nachtrag Nov. 2017)).

Aber was sich die Kamerakonstrukteure der Canon G1X MkII gedacht haben, als sie neben dem Kameragewinde unter der optischen Achse eine 0,7mm hohe Markierung platziert haben, bleibt ein Rätsel. So jedenfalls liegt die Kamera auf keinem normalen Stativteller auf.
Sollte da einer die Markierung, die im CAD-Layout die Position der optischen Achse festlegt, versehentlich in Plastik gegossen haben ???


Nachdem jetzt die Leica-M, Olympus OM-D und Olympus-PL das Kameragewinde "richtig" positioniert haben, fehlt nur noch die Fuji-X, dann haben's alle Systemkamerahersteller geschafft. Fuji aber macht noch keinerlei Anstalten sich, also das Kameragewinde zu bewegen. Statt dessen bietet Fuji allein 3 verschiedene anschraubbare Unterböden an, mit deren Hilfe dann das Kameragewinde korrekt positioniert wird.
Keine Frage, die neue X-T1 ist schön. Wenn nun noch das Bracketing bis mindestens +/-2 EV ginge, der Akku doppelt so groß und das Stativgewinde richtig positioniert wäre, wäre sie eine nahezu perfekte Kamera.

Nachtrag Sept. 2016
So, jetzt ist dieses Thema endlich Geschichte: Auch Fuji hat es bei den neuen Kameras geschafft, das Stativgewinde richtig zu platzieren. Sowohl bei der X-Pro2 als auch bei der X-T2 hat Fuji das Stativgewinde endlich unter der optischen Achse platziert. 
Zudem hat es Fuji auch noch geschafft, das Bracketing auf +/-2 EV auszudehnen.
Das lässt doch hoffen auf ein entsprechendes Firmware-Update für die X-T1.

Kommentare

Die Meinung zu Zollgewinde vs. M6 kann ich so nicht teilen. Mir wäre ein M6 Gewinde wesentlich lieber, vor allem wegen seiner geringeren Steilheit und damit einer wesentlich geringeren Gefahr, dass eine Kamera sich nur durch ihr Eigengewicht aus dem Gewinde dreht. Eine Änderung werden wir da aber bestimmt nicht erleben. Zoll ist eben die Maßeinheit der wichtigsten Nation dieser Welt. Ein Glück, dass wir nicht noch 5 12/16 Volt ins metrische System umrechnen müssen. Was mir aber realistischer erscheint wäre, ein Loch für einen Passstift, der ein unbeabsichtigtes Verdrehen der Kamera im Stativ bzw. in der Adapterplatte verhindert. Meine Canon hat zwar sowas, aber es ist soweit vom Stativgewinde entfernt, dass es für keine Adapterplatte geht. Die Koordinaten konnte ich dazu auch nirgends finden. Wolfgang G.

Jedes Gewinde hat Vor- und Nachteile und nicht immer setzt sich das vermeintlich Bessere durch. Das Entscheidende ist, dass es eine Norm gibt. Und die ist in dem Fall nun mal das UNC-Gewinde ANSI B1.1 http://www.gewinde-normen.de/unc-gewinde.html

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