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Update: Fisheye-Projektionen

Die Brennweitenangabe bei Fisheye-Objektiven irritiert immer wieder Panoramafotografen, zumindest diejenigen, die in das Thema einsteigen wollen. Die Verunsicherung rührt zum Teil daher, dass Sigma seine Fisheye-Objektive aus Sicht der Panoramafotografie falsch positioniert. Aber auch die Brennweitenangabe und der resultierende Bildwinkel ist für viele ein Buch mit sieben Siegeln.
Ich nehme die mehrfachen Rückfragen verunsicherter Kunden zum letzten Blog-Beitrag (SLANT GroundZero) zum Anlass, hier (hoffentlich) etwas Licht in das Thema zu bringen.

Für viele Panoramafotografen ist das 8er Sigma, genauer gesagt das f/3,5 8mm EX DG Fisheye, das Maß aller Dinge. Nicht, dass die Linse ungewöhnlich gut oder besonders preiswert wäre - sie kam eben zum richtigen Zeitpunkt und konkurrenzlos auf den Markt - und findet seither weltweit reißenden Absatz unter den Panoramafotografen, die mit einer APS-C-Kamera unterwegs sind. Dabei positioniert Sigma die Linse als "Zirkulares Fisheye" für Vollformatkameras - zielt also gar nicht auf den APS-C-Kundenkreis, der das Objektiv vorwiegend kauft. Wer braucht auch schon ein zirkulares Fisheye ? Heute sind Immobilienmakler, die ihre Objekte mit aussagekräftigen sphärischen Panoramen in Immoscout und auf ihre Homepage anpreisen, meist mit dem 8er Sigma und einer APS-C-Canon ausgestattet. Der Bildkreisdurchmesser des Sigmas harmoniert auch ganz gut mit dem Nikon DX-Format und ermöglicht da voll sphärische Panoramen in single-row-Technik mit nur 3-4 Aufnahmen (zum Beispiel an unserem KISS).

Man muss davon ausgehen, dass die Objektivhersteller bei der Definition einer Fisheye-Linse (noch) nicht primär an den Einsatz für Panoramafotografie denken. Daher sind die meisten Fisheye-Objektive als fullframe Fisheye spezifiziert. Entsprechend bietet Sigma für die APS-C-Sensoren das f2,8/10mm EX DC an und Nikon das f2,8/10,5mm Nikkor.
Samyang, der koreanische Hersteller sehr preisgünstiger Objektive mit manuellem Fokus, hat ebenfalls seit Jahren ein fullframe Fisheye für Crop1,5-DSLRs im Portfolio.
Samyang gibt für die Linse eine Brennweite von 8mm an. In Deutschland ist die Linse hauptsächlich als 8mm Walimex Fisheye bekannt. Sie wird unter mehreren Labels vertrieben - und ist für Panoramafotografie sehr beliebt - nicht nur, wegen des vergleichsweise niedrigen Preises (knapp 300€). Auch die Stitchingqualität, die mit dieser Linse erreicht wird, machte sie schnell zum Geheimtip für Panoramafotografen. 

Kenner, die eine Vollformatkamera für Panoramafotografie einsetzen, rasieren die Linse und nutzen sie für voll sphärische Panoramen in single row Technik. Nachdem wir das 8er Samyang erstmals genau vermessen hatten, war auch klar, warum die Linse in Zenit und Nadir so unproblematisch ist: Die Position der Eintrittspupille ("der Nodalpunkt") weist bei diesem Fisheye eine ungewöhnlich geringe Winkelabhängigkeit auf.

Kleiner Ausflug:  Die Position der Eintrittspupille ist bei Fisheye-Objektiven generell abhängig vom Winkel zur optischen Achse. Ich will das hier nicht weiter vertiefen und verweise auf die Arbeiten von Michèl Thoby, der das Thema vermutlich als erster gut verständlich aufbereitete. Diese Winkelabhängigkeit macht Panoramafotografen mitunter viel zu schaffen: Während im voll sphärischen Pano am Äquator selbst im Nahbereich alles perfekt sticht, treten an der Zimmerdecke im Zenit oder an den Fliesenfugen im Nadir deutlich sichtbare Stitchingfehler auf. Genau das ist in den meisten Fällen darauf zurückzuführen, dass der am Äquator richtig ermittelte "Nodalpunktabstand" im Zenit und Nadir nicht stimmt, weil die Linse diese unschöne Charakteristik aufweist. Beim 8er Sigma ist das sehr ausgeprägt, beim 10,5er Nikkor etwas weniger - und beim Samyang (und übrigens auch beim Tokina 107) vergleichsweise gering. Sie finden am Ende dieses Blogs einige Messkurven zum Download. 

Panorama-Neulinge greifen häufig zum 8mm-Samyang in der Erwartung, es sei vergleichbar mit dem 8er Sigma - und sind nach dem Kauf enttäuscht, weil der Bildwinkel der Linse deutlich kleiner ausfällt als beim Sigma. Es wird dann schon auch mal behauptet, das Samyang sei eine Mogelpackung. Die Brennweitenangabe ist sicher verwirrend, aber auch nicht völlig falsch.
Der Bildwinkel ist eher vergleichbar mit dem des 10er Sigma oder dem 10,5er Nikkor. Daher braucht's ein multi-row-Panorama-Setup für voll sphärische Panos, oder zumindest ein freihand Nadir- und Zenitbild. (s. Nachtrag „Dasselbe in Jrün!“)

Die Projektion oder das Mapping einer Linse ist die mathematische Formel, die beschreibt, in welchem Abstand von der Bildmitte ein Objektpunkt abgebildet wird, wenn der von ihm kommende Lichtstrahl unter einen bestimmten Winkel zur optischen Achse in das Objektiv einfällt. Also: Ein Lichtstrahl, der unter einem bestimmten Winkel α (zur optischen Achse) ins Objektiv fällt, verlässt auch unter einem (anderen) bestimmten Winkel das Objektiv und fällt in einem bestimmten Abstand R zur Bildmitte auf den Sensor. Die Beziehung zwischen dem Winkel α und diesem Radius R beschreibt die Projektion.

"Normale" Objektive haben eine rectilineare Projektion. Mit ihr werden alle Geraden als Geraden abgebildet, also auch alle rechten Winkel als ebensolche. Die Brennweite f dieser Objektive ist eine messbare physikalische Größe. Sie lässt sich einfach auf der optischen Bank messen (wenn man im Physikunterricht aufgepasst hat). Die Beziehung, also die "Formel", die die Abbildung beschreibt, ist einfach: R= f·tanα.

Fisheye-Objektive verhalten sich ganz anders: Alle Geraden, die nicht durch den Bildmittelpunkt gehen, werden als Bögen abgebildet. Die "Verzeichnung" ist nicht zu übersehen - egal, welche Fisheye-Projektion zugrundeliegt. Denn es gibt nicht die Fisheye-Projektion, sondern viele verschiedene. Wer mag, kann sich ja mal in Wikipedia schlaumachen (aber nicht alles was da steht ist richtig). Das Wesentliche ist, dass die Brennweite f in diesen Projektionen den Charakter eines Fitparameters hat. Auch der Bildwinkel und der Bildkreisdurchmesser sind keine Größen, die die Abbildung allein vollständig beschreiben. Dazu braucht es die vollständige mathematische Formel, die Abbildungsfunktion.

Die gängigsten Fisheye-Projektionen sind die

  • längentreue Projektion   R=f·α
  • flächentreue Projektion R=2·f·sin(α/2)
  • winkeltreue Projektion  R=2·f·tan(α/2)

Sigma verwendet bei dem 8mm Fisheye die längentreue (äquidistante) Projektion. Auch das klassische 4,88mm iPIX-Fisheye von Coastal Optical  verwendet diese Abbildungsfunktion.
Das 10,5er Nikkor oder auch das 8er Lumix für die MFT verwenden eine vom Typ her flächentreue Projektion. Das bekannte f3,5/8mm Samyang verwendet eine eher ungewöhnliche Projektion, vom Typus eher eine stereographische wie die winkeltreue gemäß R=k·f·tan(α/k). Auch das hier in Deutschland wenig verwendete, bekannte Sunex Fisheye ist von diesem Typ. Sunex pries diese Projektion als "revolutionär" an und hat sich dafür die Bezeichnung "Tailored Distortion" schützen lassen.

Die Relevanz der unterschiedlichen Projektionen wird besser verständlich, wenn man die Ableitung der Abbildungsfunktion betrachtet: Die Ableitung δR/δα beschreibt, wie sich die winkelabhängige Auflösung des Objektivs - sozusagen die Brennweite - mit dem Abstand zur Bildmitte ändert. Bei der äquidistanten Projektion des Sigma Objektivs ist diese Ableitung δR/δα ("Winkelauflösung") konstant (=äquidistant) über das gesamte Bildfeld. Bei allen anderen Projektionen ist die "Brennweite" winkelabhängig.
Interessant ist nun, dass bei der flächentreuen Projektion z.B. des 8mm Panasonic die Auflösung mit zunehmendem Abstand vom Bildmittelpunkt abnimmt: die Bildinformation wird am Rand des Bildfeldes radial stark gestaucht. Beim 10,5mm Nikkor beträgt die Auflösung im Zentrum 10,7mm pro Grad und am Rand unter 90° gerade noch 5,7mm pro Grad. Werden im Bereich der Bildmitte zum Beispiel bei einem Sensor 107 Pixel pro Grad Bildwinkel belichtet, sind es am Rand des Bildkreises nur noch 57.
Bei der stereographischen Projektion des f3,5/8mm Samyang ist das gerade umgekehrt: Die Winkelauflösung nimmt zum Bildrand hin zu. Im Fall der bei dem f3,5/8mm Samyang verwendeten Abbildung würden bei dem gleichen Sensor in der Bildmitte 83 Pixel pro Grad verwendet und am Rand des Bildkreises 119. Das mit dem Samyang aufgenommene Bild wirkt daher bei gleichem Bildwinkel weit weniger verzerrt als das mit dem 10,5er Nikkor aufgenommene.

Anmerkung zum Samyang:  Der Bildwinkel dieser Linse am APS-C-Sensor ist kleiner als beim 10,5er Nikkor.  Der diagonale Bildwinkel des Samyang am Canon APS-C-Sensor beträgt nur 168°. Die Linse eigenet sich daher nicht für voll sphärische Panoramen aufgenommen in single-row-Technik am SLANT Nodalpunktadapter an den Canon-Kameras.
In den Dateianhängen unten finden Sie die Projektion der Linse und Information zum Vergleich Nikon-DX-Sensor und Canon APS-C-Sensor.

Da wir ohnehin jedes neue Fisheye bezüglich der Lage der Eintrittspupille genau vermessen, ist es für uns ein Leichtes, auch die Projektion zu ermitteln. Nur interessehalber habe ich heute das 10,5er Nikkor, das 8er Lumix und das neue Samyang f2,8/8mm UMC vermessen und die Projektion gefittet. Sie finden die entsprechenden Charts unten zum Download. Soweit wir Zugriff auf die Linsen bekommen, werden wir nach und nach alle Fisheyes nochmal vermessen und die Projektionen gegenüberstellen.

Panoramabegeisterte Sony NEX-Besitzer mussten lange auf ein "richtiges" Fisheye warten. Das neue Samyang f2,8/8mm UMC für die NEX weist im Rahmen der Meßgenauigkeit eine ähnliche Projektion auf, wie das ältere f3,5/8mm, das für die Spiegelreflexkameras Verwendung findet. Vom Typ her ist das eine stereographische Projektion gemäß R=3·f·tan(α/3).  Anmerkung: Siehe Nachtrag !
Die Diagonale des APS-C-Sensors an der NEX6 beträgt nach Datenblatt und Pythagoras 28,2mm (√(23,5²+15,6²). Das heißt, in der Diagonale werden mit dem kleinen Samyang 180° Bildwinkel (und ggfs mehr) abgebildet. Daher eignet sich diese Kombination Samyang f2,8/8mm UMC und APS-C-Sensor (z.B. NEX6) sehr gut für voll sphärische Panos mit dem SLANT GroundZero.

Quellbilder & Beispiel finden Sie in Kürze auf dieser homepage.


Nachtrag 25.3.2013:  Inzwischen haben wir den Messplatz für Fisheye-Objketive für hoch genaue Messungen ausgelegt. Der Kunde Ulrich N. hat uns sein 7,5mm Samyang zur Messung der Projektion zur Verfügung gestellt. Zunächst sah alles nach Routine aus: Es ist ja bekannt, dass die Samyangs eine stereographische Projektion verwenden. Ergo habe ich diese Projektion an die Messwerte gefittet. Doch: Merkwürdigerweise liegen die Messwerte ab einem Winkel von ca. 50° zur optischen Achse nicht (!) auf der Funktion R=3·f·tan(α/3) sondern darunter. Flugs spiele ich mit den Fitparametern - und stelle fest, dass alle Messwerte exakt (!) auf der Funktion R=3·f·sin(α/3) liegen. Das kann kein Zufall sein. Ich wiederhole die gesamte Messreihe und lege die Messpunkte oberhalb 60° im 1°-Raster an. Alles wie gehabt: Die Projektion des 7,5mm Samyang lautet definitiv R=3·f·sin(α/3) mit f=7,33mm. Von wegen stereographisch ! Nix stereographisch ! 
Ob das konstruktiv Sinn macht - keine Ahnung.

Nachtrag 1.6.2013: Das f2,8/8mm Samyang haben wir inzwischen genau vermessen.
Die Projektion ist tatsächlich eine stereographische gemäß R=3·f·tan(α/3) mit f=8,5mm.
Die Linse ist damit der betagten, großen f3,5/8mm sehr ähnlich.  Die radiale Dehnung ist bei der Projektion recht ausgeprägt: Sie beträgt in der Ecke des APS-C-Bildsensors 155% bezogen auf die Bildmitte. Die Eintrittspupille weist einen im Vergleich zu allen anderen Fisheyes am Markt die geringste Winkelabhängigkeit auf.
Dieses f2,8/8mm Samyang ist nach meiner Einschätzung die derzeit beste Fisheye-Linse für Panoramafotografie !

Wenn diese ganze Messerei irgendeinen Nährwert hat, dann doch nur, wenn man verschiedene Fisheyes für ein Kamerasystem vergleicht. Daher finden Sie jetzt eine Anlage zum Vergleich der beiden MFT-Fisheyes: Letztlich ist der (diagonale) Bildwinkel identisch.
Darüber hinaus hoffe ich, damit niemanden verwirrt zu haben. 

Nachtrag „Dasselbe in Jrün!“ folgt als separater Blog zu der Linse.

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