Blog-Eintrag

Das Sägeblatt im Nadir

Alle Panoramafotografen, die voll sphärische Panoramen erstellen, kennen das Sägeblatt im Nadir. Der an sich runde Stativkopf oder Rotator wird segmentiert abgebildet und sieht aus wie ein Sägeblatt. Der Grund ist ein seitlicher Versatz der Rotationsachse zur optischen Achse des Systems.

Bei den meisten VR-Systeme muss sich der Anwender per trial and error an die richtige Einstellung herantasten. Unseren SLANT konfigurieren wir zwar bereits ready-to-shoot ab Werk auf +/-0,5mm. Aber der Anwender hat die Möglichkeit, den seitlichen Versatz der Rotationsachse per Feinjustage auf null zu bringen und diese Einstellung auf dem Rotator zu fixieren. Dazu ist es hilfreich, das Fehlerbild im Nadir zu verstehen.
Wie ich bereits in dem Blog "Kritisch ist nur der Nahpunkt" erläutert habe, hängt die zulässige Toleranz der NPP-Position allein vom Abstand zum Nahpunkt ab. Als "Goldene Regel" habe ich "1,5 mm/m" angegeben: Pro Meter Abstand zum Nahpunkt ist ein NPP-Offset von 1,5mm zulässig. Also: Wenn wir im Innenraum eines Fiat 500 ein Panorama aufnehmen, muss die Position der Eintrittspupille auf Bruchteile eines Millimeters genau im Kreuzungspunkt der optischen Achse mit der Rotationsachse liegen.

"Tortenstück", das auf jede Aufnahme kommtVerwendet man dabei den SLANT und ein Fullframe Fisheye, wird im Nadir des Bildes auf jeder einzelnen Aufnahme das selbe "Tortenstück" der horizontalen Basis des SLANTs und der Umfang des Rotators abgebildet.
Im Idealfall werden diese Tortenstücke im Nadir des Kugelpanoramas nahtlos zur perfekten, runden Torte zusammengesetzt. In der Realität gelingt das oft nicht perfekt. Der Grund ist klar: Bei nur 15 Zentimeter Abstand der Basis muss die NPP-Position auf 0,25mm genau stimmen, sonst erkennen wir einen Versatz.

Grundsätzlich können drei verschiedene "Fehlerbilder" entstehen:

1. Die Torte ist nicht rund, sondern eckig.

2. Die Tortenstücke sind asymmetrisch, das heißt, der Rotator wird als Sägeblatt abgebildet.
Dabei kann das Sägeblatt entweder im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn orientiert sein.

3. Alle wesentlichen Teile des Sujets sind perfekt gestitcht, aber im Zenit und Nadir treten sichtbare Stitching-Fehler auf.

Abbildung des Rotators im Nadir  Eine "eckige Torte" in diesem Kontext ist allerdings fast normal, wenn ein Fisheye-Objektiv verwendet wird.
Fisheye-Objektive haben die Eigenschaft, dass die NPP-Position winkelabhängig ist. Manche Autoren sprechen daher bei Fisheye-Objektiven auch nicht vom "NoParallaxPoint" (NPP) sondern vom "LeastParallaxPoint" (LPP). Lichtstrahlen, die unter großem Winkel zur optischen Achse in die Frontlinse einfallen, "sehen" die Eintrittspupille weiter vorne im Objektiv als solche Lichtstrahlen, die unter einem kleinen Winkel einfallen.
Aber die Rotationsachse in einem realen VR-System ist über den "Nodalpunktabstand" fest eingestellt, und zwar üblicherweise so, dass er für die unter 45° oder 60° einfallenden Lichtstrahlen genau passt. Für die Randstrahlen, also insbesondere für die Abbildung von Zenit und Nadir, stimmt diese Position nicht. Randstrahlen und damit Motivelemente jenseits der Polarkreise weisen daher zwangsläufig Parallaxenfehler auf. Während bei den meisten Sujets der Nahpunkt im Zenit mehrere Meter weit entfernt ist (im Freien meist unendlich weit entfernte Wolken am Himmel), ist der Nahpunkt im Nadir extrem nah. Im Fall des SLANT M beträgt dieser Abstand ca. 15 Zentimeter.
An der Basis eines VR-Systems ist daher der Stitchingfehler bei Verwendung eines Fisheyes vorprogrammiert. Der Nodalpunktoffset bewirkt dann den gleichen Abbildungsfehler wie ein zu kleiner FoV-Wert. Tatsächlich stört das aber überhaupt nicht, und fällt nur dem geschulten Auge auf.

Das Sägeblatt im NadirAnders ist das beim Sägeblatt: Da erkennt ein jeder sofort, dass da etwas nicht stimmt.
Das Sägeblatt entsteht dann, wenn die (senkrechte) Rotationsachse des Rotators die (waagerechte) optische Achse des Systems nicht schneidet, sondern links oder rechts daran vorbei läuft. Auch hier gilt in erster Näherung die Goldene Regel "1,5 Millimeter pro Meter". Liegt die Rotationsachse nur einen halben Millimeter seitlich von der optischen Achse, tritt bei dem sehr kurzen Abstand zum Nahpunkt bereits ein deutlich sichtbarer Sägezahn am Stativkopf im Nadir auf. Der Nahpunkt im eigentlichen Sujet des Panoramas liegt in der Regel mindestens einen Meter weit weg vom Objektiv - und wird daher perfekt gestitcht. Je nachdem, ob die Rotationsachse links oder rechts von der optischen Achse verläuft, wird das Sägeblatt gegen oder im Uhrzeigersinn orientiert sein.
Für dieses Nadir-Bild wurde die Rotationsachse um ca. 2,5mm nach links versetzt (Blick in Aufnahmerichtung). Dieser große Versatz überlagert sich dem NPP-Gang des Fisheyes derart, dass die Parallaxe als Stitchingfehler sichtbar wird. Daher tritt hier zusätzlich zum "Sägeblatt" auch der dritte Fehlertyp auf. 

Dieser dritte Fehler, sichtbare Anschlussfehler ausschließlich im Zenit und Nadir, ist nichts anderes als der zuerst beschrieben Fehler, jetzt aber nicht an der Basis des VR-Systems, sondern im eigentlichen Motiv. Derartige Stitchingfehler können mit der Verwendung einiger Fisheyes sowohl im Zenit und Nadir auftreten, z.B. an den Fliesenfugen wie hier, oder im Deckengemälde des niedrigen Gewölbes einer Kapelle. Die Winkelabhängigkeit der NPP-Position ist insbesondere bei älteren Fisheye-Objektiven ausgeprägt. Der Klassiker mit dieser Eigenschaft ist das 1:3,5/8mm Sigma. Aber auch das 10,5er Nikkor zeigt eine ausgeprägte NPP-Drift von fast 10mm (!) zwischen Äquator und Pol.
Nach meiner Überzeugung sind gerade deshalb das billige 3,5/8mm Samyang oder auch das Tokina 107 so beliebt unter den Panoramafotografen: Diese Linsen zeichnen sich durch ihren ungewöhnlich geringen NPP-Gang aus.
Ganz besonders gutmütig ist das neue Canon 8-15mm Fisheye: Die Position der Eintrittspupille weist eine sehr gering ausgeprägte Winkel- und Brennweitenabhängigkeit auf. (Messdaten s. unten). Daher wird es sich schnell zum Liebling der mit einer Canon bestückten Panoramafreaks entwickeln.

Wie verfährt man nun, um die beschriebenen Fehlerbilder im Panorama zu vermeiden ?

Zunächst ist es notwendig, den Nodalpunktabstand optimal einzustellen. Bei den Nodalpunktadaptern KISS und SLANT übernehmen wir das indem wir die NPP-Position mit Hilfe der Daten unserer Datenbank genau konfigurieren. Beim SLANT, der ja ausschließlich mit einem Fisheye genutzt wird, hat der Anwender mit der 4KISS-Aufnahme unserer Rotatoren die Möglichkeit, den seitlichen Versatz per Feinjustierung auf null zu korrigieren. Das geht nur per trial and error unter Zuhilfenahme eines gestitchten Panoramas - genau wie bei jedem anderen VR-System auch - nur dass beim SLANT die Nullposition bereits ab Werk auf +/-0,5mm eingestellt ist und die Feinjustierung - wenn überhaupt - nur ein einziges Mal erforderlich ist. 
Zu beachten: Auch wenn man die Kamera am SLANT ein paar Grad nach oben neigt, verändert sich der seitliche Versatz relativ zur Rotationsachse des Systems mit den beschriebenen Konsequenzen.

Wohlgemerkt: Wir reden hier von einem Millimeter Offset, mit denen wir das Sägeblatt im extremen Nahbereich vermeiden können. Es gibt wohl kein anderes System am Markt, wo derartige Optimierungen vom Hersteller diskutiert oder in Betracht gezogen werden: Bei den flexiblen Systemen, die mit Hilfe von zwei oder gar drei Skalen eingestellt werden müssen, ist der Anwender bereits zufrieden, wenn nach vielen Versuchen eine brauchbare Einstellung gefunden wurde, mit der keine offensichtlichen Stitchingfehler im Hauptmotiv mehr auftreten.

Und dann gibt es da noch die pragmatische Vorgehensweise: Sägeblatt hin oder her - man deckt das Ganze mit einem runden Logo oder einem "Little Planet" ab. Im Profilager, wo für das Postprocessing eines Panoramas nur wenige Minuten verwendet werden, ist das Gang und Gäbe.
Alternativ kann man die unsaubere Stelle auch mit Hilfe eines Patches retuschieren.
Die Software Pano2VR von Thomas Rauscher enthält ein Patch-Tool, mit dem die obere und untere Würfelfläche extrahiert und nach der Korrektur wieder ins Kugelpanorama eingebaut werden kann. Thomas hat dazu auch ein Tutorial dazu ins Netz gestellt: schauen Sie hier.

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