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Vertico – "einreihig" in der Vertikalen

Mit einem normalen single-row-Panoramasystem (z.B. KISS) nimmt man ein horizontales Panorama in einer Ebene auf. Der horizontale Bildwinkel ist dann deutlich größer, als man ihn mit einer einzigen Aufnahme im Querformat mit derselben Auflösung generieren könnte. So ist z.B. ein klassisches Landschafts-Panorama ein Bild mit einem großen horizontalen Bildwinkel und einem Aspektverhältnis von 2:1 oder größer. 
Dabei ist die Kamera am Panoramasystem immer im Hochformat angeordnet. So erhält man einen größeren vertikalen Bildwinkel, während der horizontale Bildwinkel allein über die Anzahl der Aufnahmen definiert ist, die man macht – theoretisch bis hin zu 360°. Zahllose solche „Langbilder“ wurden so von Landschaftsfotografen vor allem im Alpenraum angefertigt.
testViele Fotografen nutzen die single-row-Technik gerne für ein hoch auflösendes Bild aus 3 oder 4 Aufnahmen im Bereich der Landschafts- und Architekturfotografie und mit kurzen Brennweiten im Innenraum.

Andere, fasziniert von den Möglichkeiten, die multi-row-Aufnahmetechnik und Stitching-Software bieten, verwenden diese vorzugsweise für voll sphärische Panoramen im Innenraum. Die Möglichkeit, diese Darstellung dann interaktiv als „Virtual Reality“ (VR) zu „erleben“, hat wirtschaftliche Bedeutung im Bereich der Dokumentation und Illustration erlangt. So ist die virtuelle Wohnungsbesichtigung inzwischen für Immobilienmakler schier unverzichtbar wie auch die virtuelle Auktion für Kunsthändler in den Monaten der Pandemie. Allerdings hat auch da die single-row-Technik mit aktuellen, hoch auflösender Sensoren und guten Fisheyes die aufwendige multi-row-Technik weitestgehend abgelöst.

Landshuter DomHorizontale Langbilder kann heute jeder !  
Ungewöhnlich aber ist ein Vertirama, ein vertikales Panorama.
Die Vertikale war in der Fotografie schon immer eine besondere Herausforderung, je größer der Bildwinkel, desto mehr. Stürzende Linien wollen gekonnt inszeniert werden. Doch die Möglichkeiten, die ein großer vertikaler Bildwinkel und die transversalen Projektionen bieten, sind wenig bekannt und nur wenige getrauen sich an das Thema. Inspiration für vertikale Panoramen - leider auch weniger ansprechende -  findet man, wenn man nach Bildern unter "Vertirama" googelt. Doch nicht nur Kirchenräume wie die Sagrata Familia und die Milchstraße bieten interessante Motive. Der Fotograf Horst Hamann ist bekannt für seine vertikalen Bilder "New York vertical" , wo er ausdrucksstark mit den stürzenden Linien gestaltet. Er arbeitet mit einer Panorama-Kamera, also nur mit der rectilinearen Projektion. Aber erst ein Panoramasystem und eine Stitching-Software wie PTGUI bieten die Möglichkeit, mit wirklich großem Bildwinkel und der Projektion zu experimentieren.

Ein kommerzielles Panoramasystem speziell für vertikale Panoramen gibt es bislang nicht.
Mit Einschränkung kann man dafür ein multi-row Panoramasystem verwenden, gegebenen-falls auch ein großes, modifiziertes Gimbal.
Doch fast alle derartigen Sets sind alles andere als kompakt – und selten stabil genug für längere Belichtungszeiten. Geeignete vertikale Indexer sind kaum zu finden, am Gimbal fehlen sie ganz. Und weil am multi-row Panoramasystem die Kamera grundsätzlich im Hochformat fixiert ist, ist der horizontale Bildwinkel für „einsäulige“ Panoramen eigentlich zu klein. 

Vor Jahren hatte ich mir einen speziellen Halter mit integriertem Indexer konstruiert, mit dem sich der KISS NPA um eine horizontale Achse rotieren lässt.  Diesen ersten „Vertico“ habe ich damals in Kleinserie auf der heimischen Drehbank gefertigt. Aber so richtig überzeugt hat mich die Konstruktion nicht. Insbesondere war mir das Setup zu groß, zu schwer, zu komplex, insgesamt zu aufwendig. Daher haben ich die Konstruktion bald wieder aus dem Produktkatalog genommen.
Meinen eigenen Vertico, den eigentlichen Prototypen, hat mir dann später ein Fotograf abgeschwatzt, so dass ich mich irgendwann an das Konzept für eine Neukonstruktion machte. Auch von Kunden kam wiederholt das Thema „Vertirama“, in der letzten Zeit insbesondere im Zusammenhang mit der Astro-Fotografie. So motiviert habe ich jetzt das neue Konzept in einer Vorserie realisiert. Dabei sind die Erfahrungen aus dem Umgang mit der ersten Version alle eingeflossen. 
Für die Nivellierung des Vertico verwende ich gerne eine Nivellierplatte, keinen Kugelkopf, und eine große, empfindliche Dosenlibelle. Daher habe ich den Prototypen mit einer großen Libelle aus deutscher Fertigung ausgestattet. Darunter sitzt das 3/8" Stativgewinde. Die Stabilität und die kompakten Abmessungen gewährleisten extrem kurze Schenkel des Setups.

Der neue Vertico wird ein komplettes Panoramasystem, speziell für vertikale Panoramen ganz im Sinne des KISS-Konzepts: Kompakt, "hosentaschentauglich" und stabil, und genauso einfach wie der KISS. Er wiegt komplett 310 Gramm inklusive der Kameraschraube. Die Kamera ist am Vertico im Querformat ausgerichtet. Auch er wird „ready-to-shoot“ kameraspezifisch konfiguriert und verfügt über einen integrierten Indexer, der im Feld (also auch unterm Sternenhimmel) ohne Werkzeug stabil auf vier verschiedene Winkelschritte einzustellen ist: 60°, 45°, 36° und 30°. Bei der ersten Aufnahme ist die optische Achse waagerecht ausgerichtet (Pitch=0°), dann wird sie um die horizontale Drehachse schrittweise nach oben geschwenkt (z.B. Pitch=+36°, +72°, +108°....) bis sie bei +180° wieder horizontal liegt. Natürlich geht auch weniger.
Meinen Vertico Prototyp habe ich mit zusätzlichen Winkelpositionen ("-") ausgestattet.
Die Winkelpositionen sind durch einen federnden Rastbolzen stabil und reproduzierbar gewährleistet. Natürlich lässt sich der Pitch auch ohne den Indexer beliebig einstellen.

Index # Brennweite Pitch

HFoV

4 (Fisheye) 60° 120° 180° - - - 140°
4- -60° 60° 120° - - -
5 20mm  *) 45° 90° 135° 180° - - 84°
5- -45° 45° 90° 135° - -
6 24mm  *) 36° 72° 108° 144° 180° - 74°
6- -72° -36° 36° 72° 108° -
7 35mm  *) 30° 60° 90° 120° 150° 180° 54°
7- -60° -30° 30° 60° 90° 120°

*)  bezogen auf 35mm Vollformat                            HFoV = horizontaler Bildwinkel

Den Vertico nutzt man idealerweise mit einer kurzen Festbrennweite.
Weil der Indexer einfach zu verstellen ist, lässt sich der Vertico aber auch mit gutmütigen Zoom-Objektiven gut nutzen, z.B. an der Fuji X-T4 mit dem XF 1024.
Wir liefern den Vertico ab Juli 21 nur für ausgewählte spiegellose Systemkameras, so z.B. die

  • Canon EOS R
  • Fuji X-T3/T4
  • Lumix S, Lumix GH5
  • Nikon Z (Z6/Z7/...)
  • Olympus OMD-M1 Mk3
  • Sony A7, A9

Der neue Vertico wird wohl das erste kommerzielle Panoramasystem speziell für Vertiramen - weltweit.
Wir werden ihn ab 2022 in Kleinserie produzieren.

 Erste Bilder vom Prototyp:

 

Kommentare

Sehr geehrter Herr Hopf,
das von Ihnen beigefügte Foto des gotischen Kirchengewölbes spricht Bände. Solch einen Vertigo würde ich mir sofort zulegen - mit Fisheye oder 21mm für die Canon R5?
Läßt sich ein Vertigo evtl für zwei Brennweiten verwenden oder ist dies wie beim KISS fest konfiguriert?
Der Blick nach oben in allen den berühmten gotischen Kirchen in Ulm, Freiburg, Magdeburg, Pirna, Laon, Chartres - äußerst spannend. Und wie wirds mit den romanischen Gewölben in kleineren Kirchen z.B. am Gardasee und Südtirol?
Dies führt - da bin ich mir sicher - zu neuen Darstelllungen, neuen Vergleichen. Evtl. gelingt das "Nebeneinander" der Horizontalen (Kruzifix, Chor oder Kirchenfenster) ,mit der Vertikalen (Gewölbe) - wirklich eine einmalige Vorstellung..

Mit freundlichen Grüßen,

U.Helber

Die Kameraplatte des Vertico ist groß dimensioniert. Da ist Platz für viele Gewinde. Also zwei oder noch mehr Objektive z.B. an der EOS-R, das ist kein Problem.
Aber für den ungewöhnlich großen R5-Body werden wir vorerst keine passende Geometrie anbieten. Sorry.

Das ist eine spannende Perspektive. Hatte schon von dem ersten Prototy gelesen - jetzt soll er in Serie gehen. Frage: das System soll nur für einige Kameras berechnet werden. Fällt eine Lumix G9 mit samyang 7,5 darunter?
Manfred Wilfert

Ja, der Vertico wird mit vielen spiegellosen Kameras nutzbar sein, auch mit der Lumix G9 und auch dem kleinen Fisheye. 
Bei den Arbeiten mit dem Prototyp kam ich allerdings zum Schluss, dass ein 24mm Weitwinkel (35mm-Format) die sinnvollste Optik für derartige Motive ist. An der Fuji-X ist das dann ein 16mm-, an der MFT ein 12mm-Objektiv.

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