Anlässlich des 500sten Geburtstags von Gerhard Mercator brachte die Deutsche Post vor ein paar Tagen eine Sondermarke, die den berühmten Kartografen und die nach ihm benannte Mercatorprojektion darstellt.
Mercator hätte sicher auch an der Panoramafotografie seine Freude gehabt, wenn's die schon gegeben hätte.
Wer weiß - vielleicht hätte dann Mercator bereits damals die Panotools entwickelt (und nicht erst "neulich" Prof. Helmut Dersch).
Was haben nun Mercato und die Kartographie vor 450 Jahren mit der Panoramafotografie im 21. Jahrhundert zu tun ? Schließlich war ja damals noch nicht einmal die Lochkamera erfunden.
Panoramafotografie ist eigentlich angewandte Mathematik, genau wie Kartografie.
Mehr noch: In der Panoramafotografie, genauer gesagt, bei der Projektion des gestitchten Panoramas, kommen die in der Kartografie bekannten Projektionen zum Einsatz.
Das ist "experimentelle Mathematik" wie es die aktuelle Sondermarke veranschaulicht.
Gelegentlich erhalten wir von Kunden nach dem Kauf eines Panoramasystems ein Feedback so wie dieses (Original von heute):
Hallo Frau Hopf,
die ersten Panos sind schon fertig. Die Übereinstimmung im Stitch-Programm ist perfekt, es sind keine Übergänge zu sehen. Die Aufnahmen sind blitzschnell gemacht. Das 20er habe ich allerdings noch nicht ausprobiert, sondern nur mit dem Fisheye.
Als Programm habe ich Kolor Autopano verwendet.
Sphärische Panoramen habe ich damit einfach erstellen können.
Allerdings, wenn ich umschalte auf "zylindrisch" hat das Ergebnis nichts mit dem zu tun, was ich mir vorstelle. Liegt dies evtl. daran, dass ich ein Fisheye verwendet habe?
Was ist das Problem ?
Der Fotograf nimmt in diesem Fall die Quellbilder des Panoramas mit einem Fullframe Fisheye in single-row-Technik auf. Die Kamera steht im Hochformat am Nodalpunktadapter (NPA). Der vertikale Bildwinkel beträgt dann ca. 132°.
Die Quellbilder stitcht der Kunde mit Autopano zu einem Panorama mit 360°x132° Bildwinkel und gibt es zunächst als sphärisches Panorama aus, vermutlich als Quicktime Movie (.MOV) - und ist zufrieden.
Dann will er eine Zylinderprojektion machen und wählt entsprechend als Ausgabeformat "zylindrisch", vermutlich als JPG - und ist irritiert von der ungewöhnlichen Verzeichnung: "...hat das Ergebnis nichts mit dem zu tun, was ich mir vorstelle".
Dieser Kunde hat sich - wie viele andere Panoramafotografen auch - noch keine Gedanken darüber gemacht, wie er bzw. seine Kamera die Welt um sich herum fotografiert und wie er das Panorama mit dem großen Bildwinkel eigentlich betrachtet, also proijeziert.
Harald Woeste beschreibt es in seinem Buch "Panoramafotografie: Theorie und Praxis" sehr anschaulich: Wir fotografieren die Welt um uns herum so, als befände sich die Kamera inmitten eines Glaszylinders oder einer gläsernen Kugel und malen mit einem Radius von einer Armlänge auf die Glasfläche, was wir durch sie hindurch sehen. (Fotografie ist ja auch nichts anderes als "Malen mit Licht"). Auf einen vertikalen Zylinder können wir nur einen begrenzten Bildwinkel "malen". Besser geht es mit einer Glaskugel: dort stehen in der Vertikalen 180° zur Verfügung. Von diesen 180° nutzt die Kamera mit dem Fisheye in dem zitierten Beispiel ca. 132° aus. Jede einzelne Aufnahme bildet einen Ausschnitt des Sujets aber durch eine Projektion auf eine plane Fläche ab. (Auf die unterschiedlichen Projektionen der Objektive will ich hier nicht eingehen, um nicht zu verwirren).
Die Panoramasoftware muss dann diese planaren, unter verschiedenen Blickwinkeln aufgenommenen, überlappenden Quellbilder auf eine Kugeloberfläche wölben. Nur so lassen sie sich passgenau übereinanderschieben und letztlich stitchen. Dabei werden alle Verzeichnungen des Objektivs mit korrigiert.
Danach liegt das gestitchte Panorama zunächst auf dieser Kugeloberfläche vor.
Ich nenne das gerne "das gewölbte Panorama-Negativ" (obwohl die Tonwerte natürlich "positiv" sind). Da die Verzeichnungen (auch die Fisheye-Projektion) korrigiert sind, sieht man es dem Panoramanegativ nicht mehr an, mit welcher Art von Linse es aufgenommen wurde.
Im nächsten Prozessschritt wird dieses gewölbte Bild dann proijeziert und in dem gewählten Ausgabeformat ausgegeben.
Nichts anderes passiert in der Kartografie: Die Bildinformation der Erdoberfläche liegt auf einer (fast-)Kugeloberfläche vor. Zur bildhaften Darstellung muss diese Information proijeziert werden, zum Beispiel auf einen Globus (sphärische Projektion), einen Zylinder oder auf eine planare Landkarte.
Aber wie lässt sich eine Kugeloberfläche auf einer planaren Fläche abbilden ?
Mercator hat vor ca. 450 Jahren die nach ihm benannte Mercator-Projektion gewählt. Sie funktioniert so, wie auf der Briefmarke dargestellt - zumindest in der vertikalen Richtung, also entlang eines Längenmeridians (schon wieder so ein Begriff aus der Kartografie. Welche waren es gleich: die senkrechten oder die waagerechten ? Es sind die senkrechten !). Wir alle erinnern uns wohl noch an die merkwürdige Schwarten-Darstellung der Weltkarten im Schulatlas, wo die Länder auf den "Orangenschalenschnitten" liegen, die sich am Äquator berühren und an den Polen spitz zulaufen. Das ist nur eine der möglichen Darstellungen mit der sich eine Kugeloberfläche auf eine planare Fläche proijezieren lässt. Alle diese planaren Projektionen sind irgendwie merkwürdig, verzeichnend und fremd.
Wohl aus dem Grund ist man vor einigen Monaten bei der heute-Sendung im ZDF dazu übergegangen, das planare Hintergrundbild mit der Weltkarte durch einen sich drehenden "gläsernen Globus" zu ersetzen, auf dem die Erdteile verzeichnungsfrei abgebildet sind. Anders dagegen bei der Nachrichtensendung im japanischen Fernsehen: dort ist Tokio das Zentrum der Welt - und Europa völlig verzeichnet am linken Bildrand: Diese Darstellung der Länder Europas hat nichts mit den Größenverhältnissen zu tun, "die wir uns erwarten". Sie verzeichnet aufgrund des großen Bildwinkels und der gewählten Projektion.
Ach so, die Anfrage unseres Kunden:
Es macht keinen Sinn, den großen vertikalen Bildwinkel von 132° und mehr auf einen Zylinder zu proijezieren. Die massiven Verzeichnungen im Polargebiet sind befremdend: "...hat das Ergebnis nichts mit dem zu tun, was ich mir vorstelle". Und diese Verzeichnungen rühren nicht daher, dass die Quellbilder mit einem Fisheye aufgenommen wurden.
Anmerkung (Jan 2013):
Bei der Aufnahme eines Sujets mit Tiefenstaffelung ist der bildhafte Eindruck natürlich abhängig von der gewählten Aufnahmeposition. Da man mit einer sehr kurzen Brennweite in der Regel auch dichter ans Motiv rangeht, ändern sich die Größenverhältnisse der über die Tiefe des Raumes angeordneten Motivteile. Das und nichts anderes ist Perspektive.
Fisheye- und Super-Weitwinkelaufnahmen geben den Raum anders aufgeteilt wieder - aber letztlich nur aufgrund des geänderten Aufnahmeabstands - und der daraus resultierenden Perspektive.
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